Jakob Knudsen: Den gamle præst/Der alte Priester (1899)

 

„Men det er netop Ulykken i vor Tid, at Kroppene kommer saa rask fremad, saa Sjælene slet ikke kan følge med ...”

 

Jakob Knudsen (1858 – 1917) ist ein Name, der hin und wieder fällt, wenn es um Kirk geht. Er steht dann meist in einer Reihe mit Andersen Nexø, Jeppe Aakjær und Johan Skjoldborg, wird also den hjemstavnsforfattere, den „Heimatschriftstellern“, den „Durchbruchsmännern des Volkstümlichen“[1] oder der bondelitteratur, der „Bauernlitertatur“ zugerechnet, zu der man zumindest den Kirk der Kollektivromane zählen darf. Das stimmt thematisch, aber es gibt zudem auffällige biografische Ähnlichkeiten. Beide haben einen Großteil der prägenden Jugend in Nordjütland verbracht, Kirk am Mariagerfjord, Knudsen am Limfjord, in jener Gegend Thy, die Kirk durch seine Großmutter und Urgroßmutter so lieb geworden war. Beide entstammen sozial stark zerrissenen Familien – auf der einen Seite die alten, weit in die Zeit hineinreichenden Großgrundbesitzergeschlechter mit dem dort gelebten offenen lutherischen Grundtvigianismus und auf der anderen Seite bedürfnislose Priester- und Fischerfamilien mit starker Tendenz zur puritanischen Inneren Mission. Das hat beide Autoren geprägt und das spiegelt sich auch in den Werken wider. Im jütländischen Sujet zeigt sich die Liebe zum Land, zum einfachen Menschen und zur bäuerlichen Gemächlichkeit. Vor allem bei Knudsen bekommt man tiefe Einblicke in die bäuerliche Seele, wenige haben sich so einfühlsam in diesen angeborenen Konservatismus, die Bedächtigkeit und Langsamkeit, in „des Bauern gewöhnlichen Mangel an augenblicklicher Entschlossenheit“ eingefühlt. Sogar der bei Kirk oft so hervorgehobene dialektale Wechsel der 1. Person Singular ist in Knudsens Roman „Sind“ vorgeformt. Um die soziale Entwicklung seiner Figuren in den „Fischern“ zu versinnbildlichen, lässt Kirk sie vom „Æ“ zum „A“ bis zum „Jeg“[2] sich quasi evolutionär entwickeln – das wurde als Innovation verschiedentlich gefeiert, ist aber erstmals bei Knudsen zu finden.

Sein bekanntester Roman heißt „Den gamle præst“ – in ihm sind fast alle künstlerischen Ingredienzien enthalten. Knudsen liebt vor allem den dramatischen Effekt; er setzt seine Figuren Extremsituationen aus um daran ethische Abwägungen durchzuspielen. Sein Hang zur Philosophie ist in diesen Passagen überdeutlich. Seine Werke wirken oft wie Theateraufführungen, wo Personen die Bühne betreten und verlassen, nur um ihre repräsentative Meinung kundzutun. Schon von daher bedienen sie kaum noch modernen Geschmack, dabei stecken sie voller archetypischer Konflikte und wesentlicher Ideen. Kaum ein Autor ist so direkt in seiner Aussage wie Knudsen. Er ist einer der ersten Beschleunigungskritiker gewesen.

„Den gamle præst“ ist ein verstörendes Buch! Ein Pfarrer, der den geplanten Selbstmord eines Beichtenden nicht nur akzeptiert und gutheißt, sondern sogar segnet, der ihn zuvor – um der Liebe und Gesundheit seiner Frau wegen – dazu überredet, ein schweres Verbrechen nicht zu beichten, das war um die Jahrhundertwende unerhört. Aber auch heute, in der liberalistischen und säkularisierten Gesellschaft, kann es dem Leser schwerfallen, die Motive der Personen zu begreifen. Der dänische Urkonflikt zwischen lebensvoller Grundtvigianischer Volkskirche und pietistischer Innerer Mission mag heute an Schärfe verloren haben, die Frage um Utopie und Realität hingegen nicht.
Es stehen sich zwei Geistliche gegenüber: Jensen, ein Tolstoi‘scher Idealist und der alte Kærligheds-Verfechter Castbierg. Vergleichbare Konstellationen findet man im „Priesterkrieg“ in den „Fischern“, aber auch in den Taglöhner-Romanen Kirks. Der Konflikt ist so alt wie aktuell, man denke nur an die katholische Dogmatik in der modernen Welt. Unter dieser Oberfläche bewegt sich freilich ein mächtigerer Konfliktstrom, der zwischen Revolution und Evolution, progressiv und konservativ.

Pastor Castbiergs und wohl auch Knudsens Motto:

 ”Vi Kristne retter os efter Jesu Lov, som er Kærlighedens Lov; det vil sige: alle hans andre Bud gaar op i dette ene: at øve Kærlighed, og her i Syndens Verden vil det sige, at alle de øvrige Bud maa rette sige efter og bøje sig for Kærlighedsbudet.”

„Wir Christen richten uns nach Jesu Gesetz, das Gesetz der Liebe; das will sagen: Alle seine anderen Gebote gehen in diesem auf: die Liebe zu üben, und hier in der Welt der Sünde bedeutet das, dass die anderen Gebote sich danach richten und sich vor dem Liebesgebot beugen müssen.“

 

Literatur:

Hans Kirk: Litteratur og tendens. Essays og artikler. Gyldendals Uglebøger. København. 1974

Jakob Knudsen: Romaner og fortællinger. Gyldendalske Boghandel København og Kristiania 1917

 

©Text und Übersetzungen Jörg Seidel



[1] „folkelige gennembruds mænd“ – Kirk: Litteratur og tendens, S. 117

[2] Vergleichbar mit „Ikke“, „Ik“ und „Ich“ oder ähnlichen Varianten

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