Sophus Claussen (1865 – 1931)

 

Sophus Claussen entstammte einer anderen Zeit. Als Kirk noch gar nicht geboren war, da lebte Claussen schon in Paris, war von Baudelaire beeinflusst, verkehrte mit Mallarmé und war mit Verlaine und Herman Bang befreundet. Trotzdem fanden diese beiden so künstlerisch verschiedenen Männer zusammen. Das war 1925, als Kirk die bis dahin von Otto Gelsted eingenommene Redakteursstellung bei der Lolland-Falsters Folketidende übernahm, darin Artikel veröffentlichte und als Sekretär Claussens, der der Zeitschrift vorstand, arbeitete. Claussen wurde eine Art Vaterfigur für Kirk, sah früh sein Talent und sagte ihm eine Schriftstellerzukunft voraus. Es entwickelte sich eine produktive Freundschaft, die erst einen Knick bekam, als Claussens Schwiegersohn in der Redaktion mitarbeitete und Kirk Unterschlagungsvorwürfe machte. Kirk unterbrach die Arbeit im Blatt, kam erst zurück, nachdem der Gegenspieler – ein trockener Akademiker – wieder verschwunden war. Verwunden hat er diese Szene lange nicht und ließ sie in „Die Tagelöhner“ einfließen. Frandsen, so hieß der Mann, hatte eine Dissertation über die mittelalterlichen Mariengesänge der Gebetbücher geschrieben, ein, wie Kirk meinte, wenig lebensrelevantes Thema. Im Roman entscheidet sich Søren, der verlorene Sohn Toras und Marinus‘, ein blasser Studiosus ohne Bezug zum wirklichen Leben, exakt für dieses Thema – womit Kirk seinem Widersacher ein spöttisches Denkmal setzte.

Sophus Claussen

Claussen hingegen – Poet, Literat, Maler, Bildhauer – wurde von Kirk zeitlebens verehrt und er wurde nicht müde, ihn als einen der bedeutendsten Lyriker Dänemarks anzupreisen. Tatsächlich entstammen seiner Feder wunderbare Verse, voller Lebenslust und Erotik:

 

Rødt som Blodet, lyst som Solen, stærkt som Græsset er mit Ord,
let som Fuglen, frit som Folen, spiretungt som Vaarens Jord,
duftende som Markens Kløver, vildt som Engens Blomsterrøver
Bien ... Følger mig mit Ord. Jeg har alt, hvad jeg behøver.
Jeg er død, men om mit Spor svæver Livets Skaberord.

 

Aber Claussen war auch ein aufmerksamer Beobachter mit philosophischer Durchdringungskraft und ein Verfechter des Natürlichen und Kritiker der modernen Technik. Seine bekannte Gedichtsammlung „Fabler“ von 1917 endete mit den programmatischen Zeilen:

 

Vi tror ej altid paa „Kraft“ og Kabler.
Vi tror, at Verden er dyb af Fabler.
Og paa min Skovkam har Fabelvæsner af Ask og Gran
opbygget Templer, hvori man ærer den store Pan.

 

In ”Die Tagelöhner” wird in einem Gespräch zwischen dem grundtvigianischen Lehrer Ulriksen und dem vom Glauben abgefallenen Pastor Gamst ein ironisches Gedicht von Sophus Claussen zitiert:

„Sie betrachten den Herrgott als nach Ihrem eigenen Bilde geschaffen, Lehrer Ulriksen“, sagte der Priester mit einem Lächeln. „Der Herrgott ist ein alter, grauhaariger Lehrer, der im Himmel sitzt, auf seinem Katheder, und menschlich versucht, den Kindern den rechten Weg zu weisen. Ihr Grundtvigianer habt euer eigenes Wohlbefinden in eine Gottesgestalt geformt, ein Allvater im Himmel, ein Großbauer in der Höhe:

 

Während er saß unter dem ländlichen Maulbeerbaume hier,
lächelte er hinter seiner strengen Schulmeisterbrille klug und warm,
ich sehe auf allen Wegen sich nähern Mensch und Tier
draußen vor dem Tor erscheinend als ländlicher Schwarm.

 

So ging er hinaus zum Volk. Jedes klagte seine Not sodann.
Für Alt-Karen Fieber pflückte er ein wenig Salbei geschwind,
Legte Klein-Jens’ Finger einen Breiverband an,
Und fand aufs Neue Rat für Per Hansens krankes Rind.[1]

 

Ich weiß nicht, was Christentum ist. Ich bin Pfarrer, aber die Religion erfüllt mich mit Abscheu. Sie erinnert mich an geschnittene Nägel, an Gift und Eiter von einem entzündeten Finger.“ (S. 56)

Als Sophus Claussen 1931 nach einem erfüllten Leben starb, betonte Kirk in einem in der „Folketidende“ erschienenen Nekrolog dessen „Liebe zum Lebenden und Fruchtbaren“, auch dann, als er schon gelitten habe. Unter der alten Generation der Neunziger hielt er ihn „für den besten Kopf und das größte Talent“. „In den zukünftigen Literaturgeschichten wird man ihn nicht zusammen mit Jørgensen, Stuckenberg und Helge Rode stellen, sondern mit den großen Lyrikern des neuen Jahrhunderts: Johannes V. Jensen, Thøger Larsen und Jeppe Aakjær.“ Damit versuchte er ihn aus seiner Zeit herauszulösen und begründete das mit dem bleibenden Einfluss auch auf die jüngste Generation: „Mit seltener Klugheit und Talent und Aufrichtigkeit übte er den größten Einfluss auf die älteren und jüngeren Schriftsteller und Künstler, mit denen er in seinem langen Leben in Verbindung kam, aus.“

 

 

Literatur:

Sophus Claussens lyrische Werke sind online unter: www.kalliope.org/da/fvaerker.pl?fhandle=claussen

Hans Kirk: Sophus Claussen (1931). In: Litteratur og tendens. Essays og artikler. Gyldendals Uglebøger. Köbenhavn 1974. S. 87 – 92

Hans Kirk: Die Tagelöhner. Rostock 2012

Hakon Stangerup: Dansk Litteratur Historie. Bind 3. Fra Georg Brndes til Johannes V. Jensen. Politikens Forlag. København 1966

Morton Thing: Hans Kirks mange ansigter. En biografi. Gyldendal København 1997

Ernst Frandsen: Mariaviserne : den lyriske Madonnadigtning fra Danmarks Middelalder, belyst gennem Bønnebøgernes Prosatexter . København 1926

http://www.kalliope.org/da/fvaerker.pl?fhandle=claussen

©Text und Übersetzungen Jörg Seidel

 



[1] aus „Besuch im Himmel“, einem ironischen Gedicht, in dem der Ich-Erzähler dem „lieben Gott“ einen Besuch abstattet und eine ganze Reihe seltsamer Fragen stellt, sowie schweigend Beobachtungen anstellt.

Mens saadan bænket under et landligt Morbærtræ
han smilte klog og mild bag de strenge Degnebriller,
jeg ser fra alle Veje der nærmes Folk og Fæ,
som i en landlig Stimmel sig ud for Haven stiller.

Saa gik han ud til Folket. Hver klaged ham sin Nød.
For gamle Karens Feber fik han plukket lidt Salvie,
bandt lille Jenses Finger i Omslag med Grød
og fandt paa nye Raad for Per Hansens syge Kvie.

 

 

 

 

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