Hans Kirk, Jahrgang 1898, wuchs in einer sozial gespaltenen Familie auf. Während die Mutter, musisch begabt, einem alten Gutsherrengeschlecht entstammte und zeitlebens die Matrone gab, entstammte der prägende Vater einer einfachen Fischerfamilie aus einer der ärmsten Gegenden Dänemarks, den kargen Stränden der Nordsee, arbeitete sich zum beliebten Arzt hoch, der seine Herkunft nie vergaß und die Armen nicht selten umsonst kurierte. Das waren prägende Einflüsse. So fühlte sich Kirk, der Jura studiert hatte ohne je sich im Büroleben wohl zu fühlen, schon frühzeitig der neuen proletarischen Bewegung nahe, trat in die Kommunistische Partei ein und interessierte sich für die Psychoanalyse. Das einfache, naiv-bäuerliche und das selbstgerechte Leben der dänischen Großbauern, das wachsende emanzipatorische Bewusstsein und die Industrialisierung, die religiöse Bigotterie fundamentalistischer Kirchen und die unwiderstehliche Macht des Sexualtriebes sind denn auch die Grundkoordinaten, zwischen denen sich fast alle, zumindest aber die besten von Kirks Romanen bewegen. Mit seinem Erstling „Die Fischer“ (1928) erlangte er sofort Weltruhm, denn damit machte sich eine ganz neue Stimme hörbar, die eine unerhörte Sprache sprach, die des Kollektivromans. Wie in einem Bienenstock wird Wabe für Wabe zusammengetragen, jede einzelne Geschichte, jede einzelne Figur in sich schlüssig und ästhetisch genießbar, jede das große Ganze – wie eine sich selbstähnliche Figur – in sich tragend; und doch offenbart sich die grandiose Schönheit erst im Gesamtüberblick. Perfektioniert hat Kirk die Form des Kollektivromans in seinen beiden zusammenhängenden Büchern „Die Tagelöhner“ (1936) und „Die neuen Zeiten“ (1939), die zu Unrecht nie ganz den Publikumserfolg der „Fischer“ erreichten. Denn nur hier wird die große gesamtgesellschaftliche Kulisse gewagt, entsteht ein panoramischer Blick auf alle wesentlichen Konstituenten der dänischen Gesellschaft in den Jahren um den Ersten Weltkrieg und auch nur hier wird die Entwicklung der Personen glaubwürdig gestaltet. Damit gelangen Kirk zwei schier unerschöpfliche Romane, denen man selbst nach mehrmaliger Lektüre immer wieder neue Aspekte, Genüsse und Erkenntnisse abgewinnen kann. Geplant und wohl auch weitestgehend ausgeführt war noch ein dritter Band, doch dieser fiel in die Hände der deutschen Besatzer und gilt seither als verschollen. Zwei Jahre verbrachte Kirk im politischen Gefängnis, auf der Flucht musste er das nahezu vollendete Manuskript zurück lassen.
Bis zu seinem Tode im Jahre 1962 arbeitete er unermüdlich vor allem als Journalist der linken Presse; in den skandinavischen Literaturkanon ging er allerdings mit seinen Kollektivromanen ein. Darüber hinaus sind „Der Sklave“, ein hochallegorischer historischer Roman, und „Der Sohn des Zorns“, eine bislang unübersetzte spannende sozialisierende Neuinterpretation der Jesus-Gestalt, sowie seine bäuerliche Novellensammlung „Schattenspiel“ von literarischer Bedeutung. Die revolutionierende Form des Kollektivromans nahm er später nicht mehr auf, dafür fand sie vor allem in Skandinavien mit H. C. Branner, Jacob Paludan, Knuth Becker, Martin A. Hansen und vor allem William Heinesen namhafte Weiterentwicklung.
©Text und Übersetzungen Jörg Seidel