Aldous Huxley: Point Counter Point (1928)
Wenn vom Kollektivroman die Rede ist, dann wird hin und wieder Huxleys „Point Counter Point“ (dt.: „Kontrapunkt des Lebens“) erwähnt und in der Tat dürfte es Huxleys komplexestes Werk sein. Schon in „Those Barren Leaves“ experimentierte er mit dem Gruppensujet, als er eine Gruppe Intellektueller und Bonvivants ganz verschiedener Couleur auf einem italienischen Schloss versammelte und deren permanent verfehlte Kommunikation sarkastisch bloßstellte. Der Personenreigen in „Point Counter Point“ wird zwar aus ähnlicher Schicht gewonnen, ist aber deutlich umfassender und die Beziehungen zwischen den Personen intensiver. Seiner Idee der „novel of ideas“ (297) bleibt er dabei verpflichtet, denn an äußerer Handlung ist das Buch arm, an philosophischer Reflexion und psychologischer Tiefenforschung hingegen überreich. Einen eigentlichen Plot hat das Buch nicht, es werden statt dessen eine ganze Reihe von miteinander verwundenen Handlungslinien entworfen. Als Pate des Kollektivromans im Sinne Kirks wird man es daher nicht gelten lassen können, es sei denn, man definierte ihn wirklich nur über die Personenmenge und den Perspektivwechsel durch die jeweils handlungstragende Person. Eine eigentliche Gruppenentwicklung findet nicht statt, die Individuen – alle der gutbürgerlichen, hochgebildeten Schicht der Künstler, Wissenschaftler und Intellektuellen angehörend – bleiben Einzelatome, die sich nur kurzzeitig zu Zweckbündnissen vereinen. Es geht ihm, Huxley, der die Entfremdung und Vereinzelung einfangen will, nicht um die Gruppendynamik. Das Buch ist viel eher philosophisches Pamphlet und verschließt sich im Übrigen durch seinen sehr hohen Einstieg einem breiteren Publikum.
Huxley will die Vielfalt der Menschen zeigen und das in doppelter Hinsicht. Obwohl seine Figuren fast alle einer Gesellschaftsschicht angehören, so haben sie doch die unterschiedlichsten Ideen, Charaktere, Schicksale, aber auch jede Figur ist zugleich Idee, Gefühl, Körper, Trieb, Begehren, physikalische Größe, politisches Element usw., kurz, der moderne Mensch ist kein In-dividuum mehr und seine Taten lassen sich auch nicht aus einer dieser Komponenten erklären und sind in sich widersprüchlich. Untereinander finden sie kaum zu gegenseitigem Verständnis, die überbordende Kommunikation läuft ins Leere. Mit beißendem Zynismus und überragender (Selbst)Ironie – man kann das Buch nicht ohne ein Lächeln auf den Lippen lesen – führt Huxley seine eigene Lebenswelt, z.T. auch als Schlüsselroman, ad absurdum.
Ein intellektuelles Feuerwerk und ein bedeutender Beitrag zum modernen Roman!
Literatur:
Aldous Huxley:
Point Counter Point. HarperCollins. London 1994
Those Barren Leaves. HarperCollins. London 1994
©Text und Übersetzungen Jörg Seidel